I Furiosi in Bewegung
Interview mit dem Netzwerk „Recht auf Stadt – Ruhr“
Wer seid ihr und aus welchen Bereichen kommt ihr?
»Recht auf Stadt – Ruhr« ist ein offenes Netzwerk von Aktivist*innen, engagierten Raumplaner*innen, Journalist*innen, Künstler*innen, Leuten aus der sozialen Arbeit und dem Offkulturbereich. Wir kommen aus Duisburg, Bochum und Dortmund. Die Altersstruktur in der Gruppe reicht von Mitte 20 bis Anfang 70.
Das Netzwerk entstand durch gemeinsame Diskussionen im Anschluss an die Aktions-Konferenz »Interventionen – Stadt für alle« im September 2013 in Bochum.
Ihr habt ein Manifest geschrieben, worum geht es Euch dabei?
Mit dem Manifest »Von Detroit lernen!« und dem Essay »Realize Ruhrgebiet« wollen wir uns in die Debatte um die Zukunft des Ruhrgebiets mit Analyse und Kritik, aber auch mit konkret utopischen oder ganz realpolitischen Vorschlägen und Forderungen einmischen.
Anders als in Städten wie Hamburg oder München, geht es bei der Forderung nach einem Recht auf Stadt im Ruhrgebiet nicht um Aufwertungen, steigende Mieten und Verdrängung. Das Ruhrgebiet hat als schrumpfender Stadtraum ganz andere Probleme: Armut, soziale Segregation, Abwanderung und Leerstand.
Diese Entwicklung ist eine direkte Folge des sogenannten Strukturwandels, der anhaltenden De-Industrialisierung. Wir kritisieren, dass die politische Klasse des Ruhrgebiets, das Bündnis von alter Sozialdemokratie, modernen Technokraten und Industrie, mit ihren Strukturen und ihrem Denken einer anderen Entwicklung im Weg steht. Diese kannibalistische Kirchturmpolitik gegeneinander und die Unterwerfung unter die Standortlogik, der Glaube an die Rückkehr von Industrien und die Selbstinszenierung als „Metropole Ruhr“ sind absurd. In unseren Texten versuchen wir den Mythos des „Ruhrgebiets der Malocher“ zu zerstören. Wir beziehen uns stattdessen positiv auf Basisinitiativen, auf Formen solidarischer Ökonomie, auf Aneignungen oder Besetzungen, die es im Ruhrgebiet gibt, auch wenn sie oft sehr bescheiden sind.
Wie wurde Euer Manifest aufgenommen?
Nach der Veröffentlichung haben wir das Manifest in einigen Städten öffentlich zur Diskussion gestellt und Interviews gegeben. Zeitungen, Magazine und Blogs haben berichtet. Es wurde deutlich, dass wir mit unserer Kritik eine Leerstelle besetzen. In jeder Stadt verliefen die Diskussionen anders, hier spiegeln sich auch die jeweiligen lokalen Themen und Kämpfe wieder.
Welche Kämpfe gibt es seitdem und inwieweit seid ihr darin involviert?
Es gibt kein Mehr an Kämpfen im Vergleich zu einem Vorher. Vielleicht haben wir dazu beigetragen, dass es bei einigen ein Mehr an Interesse an stadtpolitischen Themen und Konflikten gibt. Auch von Raumplaner*innen gibt es Interesse.
Wir laden momentan monatlich zu offenen Treffen des Netzwerks »Recht auf Stadt – Ruhr« ein. Fast jedes Mal sind neue Leute dabei. Es zeichnet sich als Tendenz ab, dass wir die Initiativen, Praxen und Kämpfe im Ruhrgebiet sichtbar machen wollen, dass sich so viele Initiativen wie möglich kennenlernen sollen und dass wir die inhaltliche Diskussion über das Manifest hinaus fortführen wollen.
Wir haben gehört, dass es in letzter Zeit mehrere Besetzungen im Ruhrgebiet gab. Wie ist das gerade Thema? Verändert sich die Stimmung?
In den letzten Jahren gab es eine Reihe von Besetzungen: 2010 in Essen und Dortmund, 2011 in Duisburg, 2013 in Essen und in diesem Jahr zwei Besetzungen in Dortmund und eine in Essen. Es ging jeweils um die Schaffung unabhängiger sozialer, kultureller oder künstlerischer Zentren und um die Aneignung und Nutzung von Leerständen und ihre soziale „Inwertsetzung“.
Auch wenn keine der Besetzungen letztlich durchgesetzt werden konnte, drücken sie ein wachsendes Bedürfnis nach Freiräumen aus. Leerstand gibt`s ja reichlich im Ruhrgebiet- alte Industriegebäude, Ladenlokale oder Kirchen – aber eine kreative Nutzung durch Initiativen ist schlicht nicht vorgesehen und wird immer wieder verhindert. Stattdessen wird der Leerstand einfach ideenlos verwaltet.
Die Verantwortlichen in den Städten demonstrieren immer wieder ihre provinziell-bornierte Verständnislosigkeit: Für sie sind solche Initiativen keine Bereicherung sondern ein ordnungspolitischer Störfall. Im Ruhrgebiet ist das ein schwieriger Kampf gegen die alten und neuen Betonfraktionen. Aber wir freuen uns, dass einige Aktivist*innen sehr hartnäckig sind und sich geschickt zwischen Konfrontation und Kooperation bewegen. Wir unterstützen solche Initiativen ideell und wo es geht auch praktisch. Dem Gestaltungspessimismus, den wir im Manifest kritisieren, stellen wir entgegen, was uns hier im Pott optimistisch stimmt: das wachsende Begehren nach etwas anderem und die ganzen Initiativen, die schon mitten drin sind, hier was zu verändern.
Vielen Dank für das Gespräch!
i furiosi/ Interventionistische Linke