Die Antifaschistische Koordination Köln und Umland (AKKU) markiert in Köln Erinnerungsorte des NSU-Terrors.
Vor zehn Jahren, am 9. Juni 2004, explodierte auf der Keupstraße in Köln-Mülheim eine Nagelbombe des NSU, die mehrere Menschen verletzte. Rassistische Ermittlungspraktiken von der Polizei, die Täter*innen im „kriminellen Milieu“ suchten, folgten für die Bewohner*innen der Straße. Zehn Jahre nach diesem rechtsterroristischen Anschlag soll nun mit verschiedenen Veranstaltungen der Kriminalisierung der Bewohner*innen durch deutsche Ermittlungsbehörden und rassistischer Gewalt in Deutschland gedacht werden. Die AKKU plant zusammen mit der „Initiative Keupstraße ist überall“ einen (Mit-)Täterspurengang.
i furiosi: Gibt es Leute von euch, die schon in der Antifa aktiv waren, als der Anschlag auf der Keupstraße 2004 passierte? Wie waren damals die Reaktionen der Antifa auf den Anschlag?
AKKU: Ja, einige von uns waren schon damals politisch aktiv. Die Reaktionen innerhalb der Kölner Antifa waren ziemlich uneinheitlich. Die Meisten haben sich passiv verhalten und konnten die Situation nicht einschätzen. Andere (vor allem Aktivist*innen aus Köln-Mülheim) gingen von einem rechtsterroristischen Hintergrund aus. Sie verteilten z.B. Flugblätter und organisierten zusammen mit Anwohner*innen eine Demonstration.
Wie waren die Reaktionen in Köln nach dem Bekanntwerden der NSU-Mordserie, zu denen ja auch der Anschlag auf der Keupstraße und der Sprengsatz in einem Lebensmittelgeschäft (2001) gehörten?
AKKU: Wie überall brauchte auch in Köln die Linke erst einmal eine gewisse Zeit, um auf das Bekanntwerden des NSU zu reagieren. Etwa einen Monat danach fand eine Demonstration in Köln-Mülheim statt, die die Verflechtungen von NSU, Geheimdiensten und die rassistische Ermittlungspraxis der Polizei thematisierte. Ein Jahr nach Bekanntwerden des NSU organisierten wir gemeinsam mit anderen Gruppen eine große Demonstration zum Sitz des Bundesamtes für Verfassungsschutz, um der Forderung nach dessen Auflösung Nachdruck zu verleihen.
i furiosi: Am 9. Juni organisiert eine Initiative von Musiker*innen, Kulturschaffenden und Politiker*innen ein Gedenkkonzert in der Nähe des Anschlagsortes in Mülheim. Was haltet ihr von dieser Veranstaltung, was ist alternativ geplant?
AKKU: Wir beziehen nicht offensiv Stellung gegen dieses Konzert, vor allem deshalb, weil es auch Anwohner*innen der Keupstraße gibt, denen dieses Konzert als ein Signal wichtig ist. Allerdings finden wir es mehr als fragwürdig, wer dort alles zu Wort kommen kann und sein Gewissen beruhigen darf. Das gilt z.B. für Politiker*innen etablierter Parteien, die sich weder damals noch heute um ernsthafte Aufklärung der Taten bemüht haben. Von den großspurig angekündigten Versprechungen nach einer radikalen Reform der Geheimdienste mal ganz zu schweigen. Außerdem hat sich in unserer Diskussion ergeben, dass wir ein reines Gedenken nicht als ausreichend empfinden. Gerade weil in Gesellschaft, Geheimdiensten, Ermittlungsbehörden und Politik die Strukturen, die den NSU und deren jahrelange Nichtaufdeckung erst möglich gemacht haben, nach wie vor existieren.
Daher werden wir uns an dem Gedenkkonzert nicht beteiligen, sondern organisieren stattdessen zusammen mit der Initiative „Keupstraße ist überall“ den (Mit-)Täterspurengang. Sozusagen als antifaschistisches Alternativangebot.
i furiosi: Was bedeutet (Mit-)Täterspurengang? Was habt ihr geplant?
AKKU: Mit dem (Mit-)Täterspurengang wollen wir verschiedene Institutionen benennen und aufsuchen, die nach dem Anschlag an den rassistisch motivierten Ermittlungen und der Stimmungsmache gegen die Anwohner*innen der Keupstraße beteiligt waren. Damit wurden die Opfer der NSU-Anschläge doppelt gestraft und der Blick auf die wahren Täter*innen verstellt.
In unserer Recherche sind wir dabei auf verschiedene Player gestoßen. Von dem Finanzamt über die Polizei bis hin zu Medienvertreter*innen. Deren Agieren wollen wir am 6. Juni benennen und sichtbar machen. Was wir genau geplant haben, wird noch nicht verraten – nur soviel: Statt einer klassischen Latschdemo mit endlosen Redebeiträgen wollen wir mit einem Stadtspaziergang und kreativen Aktionen überzeugen.
i furiosi: In München wird der NSU-Prozess verhandelt. Bald werden dort die Betroffenen und Nebenkläger*innen der Keupstraße gehört. Wird dieser Teil des Prozesses auch von antifaschistischer Seite begleitet?
AKKU: Im Vorfeld des Prozesses hat sich das Bündnis „Keupstraße ist überall“ gegründet, in dem Betroffene des Anschlags, Anwohner*innen der Keupstraße, verschiedene Initiativen und auch wir aktiv sind. Um die Betroffenen zu unterstützen, werden zur Zeit Busse nach München organisiert. Außerdem sind vor Ort Aktionen geplant, um den Forderungen der Betroffenen, z.B. nach bedingungsloser Aufklärung, Nachdruck zu verleihen.
i furiosi: Vielen Dank für das Gespräch.