G20 – Die „Geschäftsbedingungen“ des globalen Kapitalismus Zeitung der Interventionistischen Linken zum G20 erschienen

g20massenzeitungZuerst als Beilage von analyse & kritik – jetzt auch bei allen [iL*]-Gruppen erhältlich: Die neue Zeitung der Interventionistischen Linken zum G20.

 

G20 – Die „Geschäftsbedingungen“ des globalen Kapitalismus

G20 in Hamburg. Die „Leader“ dieser Welt tre en sich. Die „Bösen“ und die „Guten“. Die Erdoğans und Putins und Trumps dieser Welt und die Trudeaus und Merkels. Und die dazwischen. Ihre Positionen so weit auseinander, eine Einigung unvorstellbar. So scheint zumindest die öffentliche Wahrnehmung. Was wollen die? Was soll das Ganze? Wann und wie und wofür sind die G20 entstanden?

 

G20 als Krisenverwalter

Manch einer mag vergessen haben, dass der Start für G20 in Berlin war. Der Finanzminister Hans Eichel und die Bundesregierung haben nach Startversuchen in den 1990er Jahren für den globalen Kapitalismus die Notwendigkeit stärkerer Koordination gesehen und so kam es zum Gründungstreffen der G20 im Dezember 1999 in Berlin. Allerdings sollten sich im Rahmen der G20 zunächst nur die Finanzminister regelmäßig treffen. Auf der Ebene der Staatschefs waren noch die G8-Treffen tonangebend. Aber schon das Gründungstreffen zeigte auf, in welche Richtung sich der globale Kapitalismus entwickeln würde und müsste. Der Kapitalismus als Dauerkrise – das war nicht zu übersehen und die für die Kapitaleigner notwendigen Maßnahmen auf Weltebene waren nicht einfach durchsetzbar. Die Schuldenkrise Lateinamerikas in den 1980er Jahren, die Asienkrise von 1997/98, das Scheitern des Investitionsschutzabkommens MAI im Dezember 1998 und die zwei Wochen vor der G20-Gründung gescheiterten Verhandlungen im Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO) in Seattle verwiesen auf die Grenzen der bisherigen Politik und auf die Notwendigkeit langfristiger Maßnahmen. Auf die Versuche der 1990er Jahre multilateral die Geschäftsbedingungen des globalen Kapitalismus festzulegen, konnte man sich nicht mehr verlassen. Zu unsicher waren die Ergebnisse, zu groß die Gefahr, dass zumindest ansatzweise auch diejenigen zu Wort kommen, für die der weltumspannende Kapitalismus keine Segnungen bereit hält. Das Scheitern der Welthandelsrunden in den 2000er Jahren hat diese Einschätzung dann bestätigt.

Und genau so liest sich das knappe Kommunique von Berlin 1999. Auf nur einer Seite werden die wesentlichen Punkte benannt: Gebraucht wird ein „neuer Mechanismus“ für „informelle Gespräche“ zwischen den „systemisch signifikanten Ökonomien“, um den wichtigsten „Verwundbarkeiten“, denen man noch „kürzlich ins Gesicht sehen“ musste, zu begegnen. Dazu gehört natürlich ein starkes „Schulden-Management“ und dazu muss „leadership“ demonstriert werden. Ziel des Ganzen – wie könnte es anders sein – ist ein nachhaltiges Weltwirtschaftswachstum mit dem zynischen Nachsatz: „that benefits all“.

Es sollte noch zehn Jahre brauchen, eine zerstörerische Weltwirtschaftskrise und die Erkenntnis, dass die G8 tatsächlich delegitimiert sind, bis aus der Asche der Krise die G20 aufstiegen mit dem Versprechen, die Fehler zu beseitigen und eine stabile Weltfinanzarchitektur zu bauen, die dem Kapital das Wachstum bringen sollte, das es will und braucht.

 

Das Problem der Repräsentanz
Die 2006 einsetzende Weltwirtschaftskrise kann man tatsächlich als Ausgangspunkt für die G20 betrachten. Sie diente als Möglichkeit, die Legitimationskrise der G8/G7 zu überwinden. Erinnern wir uns an Heiligendamm, wo all das offensichtlich wurde. Heute gilt die „80/80/80-Regel“:

Wir, die G20, repräsentieren mehr als 80% des Weltbruttoinlandsprodukts, des Welthandels und der weltweiten CO2-Emissionen und darum ist es offensichtlich, dass wir für diese Welt sprechen und handeln können. Denn wir repräsentieren darüber hinaus mehr als zwei Drittel der Weltbevölkerung.
Diese Argumentation wird von vielen gebetsmühlenhaft wiederholt: von den Regierenden dieser G20 über die Heinrich-Böll-Stiftung der Grünen bis hin zu einer Reihe von NGOs, die daraus die Notwendigkeit und Möglichkeit eines Dialogs zum Wohl dieser Welt ableiten. Dabei ist der Zynismus dieser Argumentation offensichtlich. Hier trifft  das alte Sprichwort zu: Es ist nichts anderes als der Versuch, den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben. Die Verursacher dieser Krise und die Zerstörer dieser Welt beanspruchen Führung: Weil wir für mehr als 80% der CO2-Emissionen stehen, sind wir die quasi-natürlichen Leader dieser Welt. Und obwohl es stimmt, dass in den G20-Staaten mehr als zwei Drittel der Weltbevölkerung leben, lässt sich daraus wohl kaum eine legitime Repräsentation ableiten. Auch in ihren Ländern repräsentieren sie nicht die Mehrheit der jeweiligen Bevölkerung. Wenn die G20 für etwas stehen, dann für die weltumspannenden Interessen des Kapitals. Und allein dafür ist die vermeintliche Widersprüchlichkeit und Heteroge- nität der nach Hamburg kommenden Leader kein Hindernis, sondern ein Vorteil. Sie decken das Spektrum ab, innerhalb dessen der Kapitalismus agieren kann, und nicht immer ist die neoliberale und vermeintlich weltoffene Variante der Merkels und Trudeaus die beste Lösung. Wo diese an ihre Grenzen stößt, kann die rechtsnationalistische Trump-Karte gezogen werden. Aber auch die autoritären Spielarten von Erdoğan über Putin bis zur chinesischen Führungsclique sind im Boot. Und vergessen wir nicht die fundamenalistisch-royale Variante aus Saudi-Arabien. Aus dieser Perspektive gewinnt die Frage der Repräsentation eine ganz andere Bedeutung. Aber die Mehrheit der Weltbevölkerung repräsentieren sie nicht. Die Menschen dieser Welt werden in Hamburg durch die G20 nicht vertreten sein!

„ Wachstum, Wachstum, Wachstum“

Was ist die Agenda und was ist nach 2008 passiert? Es wäre ein großer Fehler, aus der vermeintlichen Widersprüchlichkeit der Teilnehmer*innen abzuleiten, dass die G20-Treffen eine Gesprächsrunde ohne konkrete Ergebnisse sind. Liest man die Abschlusskommuniques, so gibt es selbstverständlich mantrahafte Wiederholungen wie schon nach jedem G8-Gipfel: Wachstum, Wachstum, Wachstum. Und es könnte auch gar nicht anders sein, insofern das weltweite Kapital nichts dringender braucht als Anlagemöglichkeiten zu seiner Verwertung. Kommt dieser Prozess ins Stocken, so tritt die nächste Krise an die Oberfläche.
Zumindest klarmachen muss man sich, dass der zentrale Ort der Aushandlung der Rahmenbedingungen nach der Weltwirtschaftskrise auf eine andere Ebene verlagert wurde. Offensichtlich haben die Regierenden der G7 akzeptiert, was die Konzerne dieser Welt schon längst in ihrem Alltag realisiert haben: dass ihr Aktionsfeld nicht mehr im Norden und Westen dieser Welt liegt. Insofern war die Verschiebung zu G20 eher eine Nachholaktion. Zugleich ist damit das Signal gesetzt, dass es für all die vorhandenen Widersprüche einen Ort geben muss, wo sie integriert werden können. Dass dieser Ort in keiner Weise demokratisch legitimiert werden muss, macht die Sache leichter. Es verweist – zumindest an dieser Stelle – auf „Einigkeit“, auf ein commitment und damit letztendlich auf Unterwerfung unter das (abstrakte) Diktat des Weltkapitals.
Darüber hinaus sind die G20 tatsächlich aus einem Krisenbewältigungsaktionismus hervorgegangen, der signalisieren sollte: Wir nehmen die Krisen der Welt ernst und handeln. Bei genauerem Hinsehen ist festzustellen, dass selbst die konkret vereinbarten Maßnahmen nur unzulänglich umgesetzt wurden, aber vielleicht war auch das das entscheidende Signal: Macht euch keine Sorgen! Es wird weitergehen wie bisher. Unserer Aufgabe, den Planeten und seine Menschen auszuplündern, werden wir gerecht werden!

Wachstum heißt Verwüstung
„Falsche Anreize im Bonussystem, übersteigerte Gewinnansprüche, verantwortungsloses Verhalten zulasten Dritter – da war viel fehlgeleitete Kreativität im Spiel.“ ( Joachim Gauck)

Auf diesem Niveau bewegt sich die Analyse der Krise. Egal, ob der Mann das wirklich geglaubt hat, das Zitat verweist tatsächlich auf die Ebene der Fehlerbehebung. Die innerhalb der kapitalistischen Ökonomie agierenden Ökonomen und Politiker können und wollen nicht verstehen, was das Problem ist: Die Verwertung einer stetig steigenden Kapitalmenge, die damit verbundene ungebremste Durchdringung aller Lebensbereiche zur Verwertung, die Produktion eines dieser Verwertungsmaschinerie entsprechenden weltweiten Subjekts und die dementsprechenden Verwüstungen des Planeten. Deshalb kann die Antwort auf jegliche Krise nur sein: Wachstum. Und sie ist – auch wenn sie ständig wiederholt wird – aus dieser Logik heraus auch „richtig“, alle G20-Leader können sich ihr anschließen. Aber diese Logik ist die Logik der Verwüstung.

Die Erzählung von der Unsicherheit
Trotzdem hat sich nach der Krise 2007 eine Verschiebung ergeben, die in gewisser Weise das Spezifikum der neuen G20 gegenüber den G8 ausmacht. Die Kommuniques lassen erkennen, dass die Tatsache der Krise anerkannt wird und sie wird zugleich produktiv gewendet. Nicht das Versprechen von Wohlstand für alle – auch wenn es nie gegolten hat – steht an erster Stelle der Agenda, sondern die Akzeptanz der Tatsache, dass sich die Welt im Dauerkrisenmodus befindet. Unsicherheit wird zum ständigen Begleiter des Lebens auf diesem Planeten.
Und genau das wird zum Thema der G20: Wie lassen sich, angesichts der oder besser mit der nicht zu leugnenden Unsicherheit, die Verwertungsmöglichkeiten des Kapitals sichern und erweitern. Und die Antwort ist logisch und klar: indem die Probleme selbst zu Geschäftsfeldern des Kapitals werden – die Zerstörungen der Erde und die Modulierungen der Subjekte. All das hat natürlich schon längst begonnen, aber dementsprechend, so L. H. Röller, Berater der Bundeskanzlerin, braucht es ein neues Narrativ: das Narrativ der Unsicherheit. Es geht darum, „mit Gefühlen der Unsicherheit umzugehen. Ist die Welt bereit mit dieser globalen Herausforderung umzugehen, wenn sie auftritt.“ Das ist das Narrativ, die neue Erzählung, die in Hamburg auf der Tagesordnung stehen soll! Und eine Antwort auf die Herausforderung ist: Resilienz – Widerstandsfähigkeit.

Die Unsicherheit, die der Kapitalismus Tag für Tag Milliarden von Menschen aufbürdet, soll nicht einmal mehr in einem Kommunique beseitigt werden. Es geht darum, ihr standzuhalten. Das ist es, was diese Weltordnung den Menschen bereithält: Hältst du es aus, dann kannst du dabei sein. Wenn nicht, bist du draußen! Aus dieser Perspektive ziehen die Leader, die in Hamburg auftreten werden, konsequent an einem Strang. Und diese Perspektive ist es, die uns sagen lässt: Wir werden dieses tödliche Spiel nicht mitspielen.

aus: Zeitung der Interventionistischen Linken

Die Zeitung wurde gefördert von Netzwerk – der politische Förderfonds Berlin und von Netzwerk Selbsthilfe Saar. Wir danken.