Gut Isoliert? Corona & Haft

Andere Perspektiven aus der Krise

Menschen in Haft werden von unserer Gesellschaft kaum wahrgenommen und werden dementsprechend selten mitgedacht. Jedoch ist der Anteil der Menschen mit einschlägigen Vorerkrankungen in Haft, vergleichsweise höher als „draußen“. Mit diesem Kenntnisstand ist die wiederholte und starke Kritik an der meist unzureichenden medizinischen Versorgung in Haftanstalten schockierend. Hinzu kommen die meist schlechten hygienischen Bedingungen und das Leben auf engstem Raum.

Gefängnisrevolten in Italien und Kolumbien

In Italien und Kolumbien kam es in den vergangenen Wochen in vielen Haftanstalten zu Protesten aufgrund der teils extremen Einschränkungen von Besuchs-, Bewegungs- und Arbeitsrecht. Ebenfalls wegen des von den Insassen bemängelten Schutzes vor einer Corona-Infektionen aufgrund überfüllter Zellen, schlechten hygienischen Bedingungen und größtenteils unzureichender medizinischer Versorgung. So kam es in ca. 27 italienischen Haftanstalten zu massiven Ausschreitungen, wobei acht Insassen getötet und etliche verletzt wurden. Auch in Kolumbien kam es in ca. 14 Haftanstalten zu Protesten bei denen Schüsse auf Insassen fielen und es zu unverhältnismäßigem Einsatz von Tränengas in den Zellen kam. Dabei wurden 23 Menschen getötet und mind. 83 teilweise schwer verletzt.

Und in Düsseldorf?

In NRW sind bislang nur zwei Corona-Fälle in Gefängnissen (JVA Euskirchen, der andere unbekannt: Stand 09.04.2020) bekannt. Ulrich Biermann Landesvorsitzender des Bundes der Strafvollzugsbeamt*innen bemängelt allerdings, dass in den Haftanstalten bislang auch nicht ausreichend getestet wird, so entstehen natürlich auch keine Positiv-Ergebnisse.1 Dazu kommt, dass bei einer plötzlichen Ausbreitung von Corona in den Haftanstalten die bundesweit sechs Intensivbetten in Justizvollzugskrankenhäusern nicht ausreichen werden. Die Lage ist prekär und eine Ausbereitung würde somit verheerende Folgen für Erkrankte haben.

Wir haben Kontakt zu Steffi, Schwester von Andreas2, einem Insassen der JVA Düsseldorf aufgenommen. Dort gibt es nach ihren Schilderungen derzeit weder Freizeit-, Gruppen-, noch Sportangebote, ein komplettes Besuchsverbot, kaum noch Arbeit, außer die (gefängnis- )systemrelevanten, wie z.B. Hausarbeiter (zuständig für Essen- & Postausgabe sowie Reinigungstätigkeiten) und auch keinen Umschluss, d.h. Besuch von Mitgefangenen mehr. Diese einschränkenden Maßnahmen sind sinnvoll, jedoch auch extrem belastend für die eh schon in ihrer Freiheit eingeschränkten Menschen. Dies äußerte sich bereits vergangene Woche in einem kleinen, aber lautstarken Protest an den Zellenfenstern der JVA, welcher jedoch schnell von den Bediensteten unterbunden wurde, indem die lautesten Stimmen kurzer Hand in Isolationshaft verlegt wurden. Viele der Insassen inkl. Andreas hätten bisher noch Verständnis für die Maßnahmen und verhielten sich ruhig. Er vermutet jedoch, dass die Panik kommt, sobald der Virus in der JVA angekommen ist, dann dürften sie wohl alle gar nicht mehr ihre Zellen verlassen. Er persönlich litt schon vor den verschärften Maßnahmen unter Einsamkeit, welche sich nun zunehmend verstärkt. Ebenfalls bemängelt Andreas die ausbleibende Aufklärung und Informationsweitergabe an die Insassen, er fühlt sich wie ein Kind, dem man die Lage verschweigt, in dem Glaube, dass er es entweder nicht verstehen oder ertragen und dadurch „durchdrehen“ könne, wie er sagt. „Ich finde, mein Bruder fühlt sich zu recht bevormundet. Er hat wie alle anderen Menschen auch ein Recht darauf, rechtzeitig und umfassend informiert zu werden“, so Steffi.

Pluspunkte

Es ist jedoch nicht alles schlecht: Die tägliche Freistunde wurde wochentags um eine halbe Stunde pro Tag (Yeah) verlängert. Es gibt für alle Insassen einen Fernseher und eine Telefonkarte sozusagen „aufs Haus“. Die Menschen die Arbeit hatten, bekommen zumindest weiterhin 50% ihres Gehaltes (was vorher schon unterirdisch war) und zudem sind Einzahlungen auf das Haftkonto bei Strafgefangenen nun kurzzeitig im Rahmen von 40€ im Monat wieder möglich (vorher waren Überweisungen nur für U- Häftlinge erlaubt). Des Weiteren werden entschieden weniger Verhaftungen in den letzten Wochen verzeichnet, Ersatzfreiheitsstrafen momentan nicht vollstreckt und Strafantritte verschoben. Auch Ausweisungen und Auslieferungen aus Haft finden momentan nicht statt. Es wird derzeit landesweit überprüft, wer frühzeitig entlassen werden oder eine Haftunterbrechung antreten kann. In NRW sollen knapp 1000 Menschen entlassen werden, um bei Bedarf Platz für Quarantänefälle zu haben. In Düsseldorf wurden bereits 43 Menschen vorrübergehend entlassen, müssen aber nach der Krise (was auch immer das heißt) wieder „rein“. Zudem wird vom Justizministerium NRW überlegt, Menschen mit niedrigen Freiheitsstrafen von unter 18 Monaten frei zu lassen, wenn ihre Strafe ohnehin im Zeitraum bis zum 31. Juli 2020 enden würde. Die Entlassungen sind abhängig von Straftat (Sexualstraftäter*innen sind z.B. ausgenommen), guter Führung in Haft und einem nachweisbaren festen Wohnsitz.

Risikogruppe Nummer Eins: Menschen mit Suchterkrankung

Aufgrund der Illegalisierung von Drogenbesitz und -handel viele Drogengebraucher*innen befinden sich viele Menschen mit Suchterkrankung in Haft. Diese Menschen „sitzen“ meist wegen Delikten, die mit ihrer Suchterkrankung einhergehen und unter Beschaffungskriminalität zusammengefasst werden können. Darunter meist nicht gezahlte Bußgelder sowie kleinere bis größere Diebstähle oder Einbrüche zur Finanzierung ihrer Suchterkrankung. Betroffene sind meist psychisch belastet und haben durch teils jahrzehntelangen Tabak-, Alkohol- und/oder Drogengebrauch ihre Körper geschwächt und zählen damit zur sog. Risikogruppe. Diese Menschen gehören nicht in Haft, sondern in Therapie oder Betreutes Wohnen. Da diese Menschen jedoch oft keinen festen Wohnsitz haben, wird ihnen auch aktuell die Chance auf Freiheit verwehrt.

Nun gibt es natürlich Stimmen, die argumentieren, dass die Menschen ja sonst draußen auf der Straße landen würden und dadurch eine Ansteckung mit COVID-19 viel wahrscheinlicher wäre als im geschützten Haftraum. Es gibt jedoch noch eine dritte Möglichkeit: derzeit stehen aufgrund der Corona-Krise rund 1,5 Mio. Hotelzimmer in ganz Deutschland leer. Darüber hinaus gibt es bundesweit durch Spekulant*innen verursachten Leerstand sowie Airbnb-Wohnungen die derzeit nicht genutzt werden. Wir fordern daher, die (vorrübergehende) Unterbringung von Haftentlassenen ohne festen Wohnsitz in diesen Leerständen! Zudem fordern wir zum Schutz aller Beteiligten und zur Entlastung der medizinischen Dienste in Haft die komplette Aussetzung der eh völlig ineffektiven Ersatzfreiheitsstrafen ohne Nachholpflicht!

Die Schutzmaßnahmen dürfen darüber hinaus in keinem Fall als Rechtfertigung von menschenverachtenden Verhalten und Bedingungen für Menschen in Haft dienen. Dem folgend sollte Menschen in Haft, vor allem denen in Quarantäne in dieser Zeit verstärkt psychologische Unterstützung angeboten werden. Das Leben von Menschen in Haft ist genau so wertvoll, wie jedes andere! Menschen in Haft sind nicht Menschen zweiter Klasse!