Kurdische Studierende setzen sich nicht nur für Kurdistan ein
Seit 1991 existiert YXK, der Dachverband der Studierenden aus Kurdistan in Europa. Erst in letzter Zeit, durch die Ereignisse in Kobanê bzw. Rojava, wird der Verband vermehrt in der linken Öffentlichkeit wahrgenommen. Zeit also, einmal nachzufragen, wer YXK ist und was sie so machen. I Furiosi führte das Interview mit dem YXK-Vorstand.
i Furiosi: Es gibt Euch seit 1991. Was waren und was sind die Gründe, sich als eigenständiger kurdischer Verband zusammen zuschließen? Wie sehen Eure Aktivitäten, abseits der momentanen Ereignisse in Kurdistan, aus? Seid ihr nur in den Universitäten aktiv?
YXK: Die YXK wurde 1991 zu einer Zeit gegründet, in der die Auseinandersetzungen in Nordkurdistan / Türkei zwischen der Guerilla der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und dem türkischen Staat am intensivsten waren. Es gab unzählige Massaker und Menschenrechtsverletzungen in diesem „schmutzigen Krieg“ von Seiten des türkischen Staates an der kurdischen Zivilbevölkerung. Gegen PKK-Guerillas wurden Chemiewaffen eingesetzt und tausende kurdische Dörfer wurden dem Erdboden gleichgemacht.
Aus Kurdistan stammende Jugendliche und Studierende in Deutschland sahen es angesichts dieser Eskalationen, als in Europa lebende Diaspora, als ihre Verantwortung, eine Gegenöffentlichkeit zu schaffen, um von den völkerrechtswidrigen Praxen des türkischen Staates, aber auch, um vom revolutionären Kampf und Widerstand in Kurdistan zu berichten.
Heute ist es immer noch eine zentrale Arbeit der YXK, Öffentlichkeit zu schaffen und Informationsarbeit zu den aktuellen Entwicklungen in Kurdistan zu leisten. Genauso zentral ist aber auch die Organisierung von Jugendlichen und Studierenden. Dabei ist die Herkunft oder der Beruf der Mitglieder nicht ausschlaggebend; so organisieren sich auch SchülerInnen, Auszubildende, arbeitende oder erwerbslose Jugendliche verschiedener Herkunft in der YXK.
Die Arbeiten der YXK sind sehr vielfältig und je nach Bedürfnissen und Möglichkeiten unterschiedlich. Sie zielen neben der Schaffung von Gegenöffentlichkeit sowie der Organisierung von Jugendlichen und Studierenden auf diverse soziale, politische und kulturelle Anliegen ab. Studierende und SchülerInnen zu unterstützen, kurdische Sprachkurse und Kulturarbeiten zu organisieren und diverse Veranstaltungen durchzuführen sind die Arbeiten der YXK, in deren Fokus stets die kritische Betrachtung der Gesellschaft sowie das Herausarbeiten und Verfolgen fortschrittlicher Perspektiven stehen.
Regelmäßige zentrale Arbeiten des Verbandes sind unter anderem die Herausgabe der Verbandszeitschrift Ronahî in deutscher und kurdischer Sprache, die Austragung der Gedenkveranstaltungen Hüseyin Çelebi-Literaturpreise (Ehrenvorsitzender der YXK) und Delil Ates-Sportveranstaltung, die Newroz-Delegation (kurdisches Frühlingsfest) sowie weitere politische Delegationen, die Kurdischen Filmtage, das Sommercamp und die Winterakademie, während der die Selbstbildung im Vordergrund steht.
i Furiosi: Gerade jetzt aufgrund der Geschehnisse ist zu bemerken, dass Ihr den Kontakt zu anderen Linken und Bündnisse mit linken „deutschen“ und anderen Gruppen sucht. Liegt das „nur“ an den aktuellen Ereignissen in Kurdistan?
YXK: Nein, das hat nichts mit den aktuellen Ereignissen in Kurdistan zu tun, sondern mit unserem politischen Selbstverständnis, unserem basisdemokratischen, ökologischen und geschlechterbefreiten Gesellschaftsparadigma, welches wir als Verband vertreten. Wir treten für unsere Prinzipien wie Sozialismus, Ökologie, Geschlechterbefreiung, Antikapitalismus und Antistaatlichkeit nicht nur in Kurdistan ein, sondern überall, wo wir sind. Wir sind der Meinung, dass der Kampf der kurdischen Freiheitsbewegung aus einer Makroperspektive nur ein Teil des weltweiten Kampfes gegen die kapitalistische Moderne ist.
Aus diesem einfachen Grund sind für uns alle Menschen und Gruppen, die sich für eine andere Welt, weg von Unterdrückung und Zerstörung durch kapitalistische, imperialistische Machtinteressen engagieren, unsere natürlichen BündnispartnerInnen.
Als Verband haben wir unsere Arbeiten in diese Richtung in den letzten Jahren verstärkt. Wir wissen, dass unsere Arbeiten noch nicht ausreichen und ausbaufähig sind; aber gleichzeitig ist auch zu merken, dass die Berührungsängste auf beiden „Seiten“ langsam abgebaut werden.
i Furiosi: Bisher war das Verhältnis „deutsche“ Linke und kurdische Gruppen in vielen Städten nicht besonders ausgeprägt. Es fehlten kurdische Linke oder es waren nur wenige vertreten bei vielen Protesten gegen Nazis, gegen Militarismus, Blockupy etc. Trotzdem mittlerweile teilweise die dritte Generation in Deutschland aufgewachsen ist, konnte man das Gefühl haben, kurdische Linke beziehen sich hauptsächlich auf Kurdistan, aber Themen, die praktisch vor der Haustür liegen und sie ebenso betreffen, werden als nicht wichtig erachtet. Würdet ihr sagen, das trifft zu oder ist das eine „deutsche“ linke Wahrnehmung?
YXK: Viele verschiedene Aspekte kommen bei dieser Frage zusammen und beide „Seiten“ tragen eine Mitschuld an dem bisher nicht besonders ausgeprägten Verhältnis.
Die kurdische Community, insbesondere die erste Generation, war direkt vor dem Krieg in Kurdistan geflüchtet. Sie hatten einen direkteren emotionalen Bezug nach Kurdistan. Die kurdische Bewegung hatte anfangs auch die Perspektive, dass nach der Revolution in Kurdistan alle Flüchtlinge zurückkehren werden. Dementsprechend gab es wie Ihr beschreibt ein fehlendes Interesse seitens der meisten KurdInnen an innerdeutschen Entwicklungen. Doch es gibt nun auch einen Paradigmenwechsel innerhalb der kurdischen Bewegung in Europa. Mit der europaweiten Neustrukturierung und dem Aufbau von Rätestrukturen wird mittlerweile auch hier in Deutschland und Europa eine Organisierung nach dem Modell der „Demokratischen Autonomie“ angestrebt. In diesem Neustrukturierungsprozess sollen natürlich auch Antworten auf die Bedürfnisse der hier lebenden kurdischen Gesellschaft gegeben werden.
Wir als Verband sehen hierbei unsere wichtige Mission. Neben unserer Aufgabe, Studierende, deren Wurzeln in Kurdistan liegen, zusammenzubringen, haben wir die besten Möglichkeiten, die kurdische Bewegung mit der Linken in Deutschland zusammenzubringen. Uns ist natürlich klar, dass wir in dieser Hinsicht eine noch aktivere Rolle einnehmen müssen. Als YXK sind wir aus diesem Grund in lokalen antifaschistischen Bündnissen aktiv, nehmen an Protesten gegen Nazis teil, initiieren Bündnisse gegen Militarismus wie das Bündnis TATORT Kurdistan, und nehmen an bundesweiten Aktionen wie Blockupy oder NO-NATO / NO-SIKO teil.
Zur deutschen Linken und ihrem Verständnis von Solidarität und Internationalismus: die europäischen Solibewegungen, wie in Deutschland, beschäftigen sich mit Entwicklungen die sehr weit weg von ihnen entfernt passieren. Als Beispiel gab es hier Solidarität mit Palästina, El Salvador, Nicaragua, später mit dem Aufstand der Zapatistas in Mexico. Diese Bewegungen waren alle relativ weit weg von hier. Das hat wohl auch sehr viel damit zu tun, dass Internationalismus und Solidaritätsbewegungen stark romantisiert werden. Es gab wenig Potential von diesen Bewegungen hier vor Ort, weshalb es leicht ist, viel in sie hinein zu interpretieren und auf ihre Kämpfe zu projizieren. Bei den KurdInnen ist das anders, sie leben und organisieren sich auch hier in Deutschland. Es gibt ganz andere Möglichkeiten, hier gemeinsam zu arbeiten. Doch die deutsche Linke geht auf die KurdInnen, die – wie Ihr es in Eurer Frage formuliert habt – „vor der Haustür sind“, nicht zu. Es gilt also auch für die deutsche Linke, dass sie Sachen, die sozusagen vor ihrer Nase passieren und sie ebenso betreffen, nicht beachtet.
Es hat also auf beiden Seiten Fehler gegeben. Wichtig für die zukünftigen gemeinsamen Arbeiten ist nun, was wir daraus für Schlüsse ziehen und was wir daraus lernen.
i Furiosi: Noch vor kurzem, bevor Kobanê/Rojava in den Medien präsent wurde, konnte man ein deutliches Desinteresse und teilweise auch Ablehnung der „deutschen“ Linken gegenüber kurdischen Entwicklungen und Kurdistan insgesamt feststellen. Seht ihr da Veränderungen, die über den Protest gegen den sogenannten Islamischen Staat / IS hinausgehen?
YXK: Die Revolution in Rojava bietet allgemein ein großes Potential, wenn wir als kurdische Bewegung und als Linke in Deutschland nicht die gleichen Fehler aus der Vergangenheit begehen. Seit langem hat die Linke in Deutschland, die sich in einer Perspektivlosigkeit und Niedergeschlagenheit befindet, keine positiven Bezugspunkte mehr gehabt. Die Revolution in Rojava hat innerhalb der Linken hier einen Geist wie damals zu Chiapas oder Nicaragua wiederbelebt. Die Linke kann sich wieder positiv auf etwas beziehen, anstatt immer gegen etwas zu sein.
Gleichzeitig zu den positiven Entwicklungen treffen wir wieder auf die typische Art von Solidarität bei der deutschen Linken, die uns aus der Vergangenheit bekannt ist. Es wird immer belehrt, anstatt die betroffenen Menschen selbst zu fragen. Mensch kann sagen, dass die Linke hier sehr stark von einer eurozentrischen, metropolenchauvinistischen Haltung geprägt ist. Konkretes Beispiel sind Diskussionen bezüglich der Forderung und Begrüßung der Menschen aus Kobanê für die Bombardements von IS-Stellungen durch die internationale Koalition. Aus dem gemütlichen Sessel von Europa aus, werden Aussagen getroffen wie „man muss aufgrund unserer antiimperialistischen Prinzipien eine Solidarität mit Rojava überdenken“. Ohne Kenntnisse über die Entwicklungen der kurdischen Freiheitsbewegung und den Realitäten des Mittleren Ostens, sowie der Verkrampfung auf klassische Imperialismusdefinitionen werden solche Aussagen von „Linken“ getroffen – das ist ein Ausdruck von Metropolenchauvinismus. Schon die Internationalistin Uta Schneiderbanger, die 2005 in den kurdischen Bergen starb, erklärte genau zu diesem Punkt: „Es ist einfacher, mit einem Volk und seinem Kampf solidarisch zu sein, das weit weg ist, weil man es dann idealisieren kann. Mit Kurden und Türken geht das nicht. Sie sind unsere Nachbarn, Kollegen, Mitschüler. Man sieht ihre Lebensrealität und kann sie nicht idealisieren, sie nicht zum Gegenstand der eigenen Träume machen. Solidarität lässt sich nicht vom Sessel aus erledigen.“
Stattdessen müsste sich die Linke fragen, warum die Menschen in Kurdistan keine Hilfe von der internationalen Linken einfordern können und tatsächlich auf die Staaten der internationalen Koalition angewiesen sind, um einem Massaker zu entkommen. Für die globale Linke ist es leider nicht mehr selbstverständlich, mit internationalen Brigaden nach Rojava zu gehen, wie zu Zeiten des Spanischen Bürgerkriegs 1936–39.
Es gibt aber spürbare Veränderungen, die über den Protest gegen den IS hinausgehen, die schon seit mehreren Jahren zu beobachten sind. Seit einiger Zeit gibt es eine neue Generation, sowohl von der Linken hier in Deutschland, wie auch bei den kurdischen Organisationen, den kurdischen Studierenden, den Jugendlichen, die hier groß geworden sind. Wir sehen, wie offen sie aufeinander zugehen und das es ein Interesse gibt etwas miteinander zu entwickeln. Was natürlich vor allem aus den Erfolgen in Kurdistan selbst kommt, aus der schrittweisen Entwicklung eines befreiten Lebens in der Praxis. Und das schafft eine Anziehungskraft, die stärker ist als die Antipropaganda, der ja auch ein Großteil der Linken aufgesessen ist, sie sogar forciert hat.
i Furiosi: Was sind eure nächsten Aktivitäten in NRW und darüber hinaus?
YXK: Zusammen mit der IL haben wir eine bundesweite Initiative „Solidarität mit Rojava“ gestartet, bei der Kunstschaffende und Intellektuelle die Selbstverteidigungskräfte (YPG/YPJ) in den kurdischen Gebieten Nordsyriens unterstützen. Aufgrund der Angriffe des IS auf die Gemeinden Rojavas und der Kämpfe um die Stadt Kobanê sei es „allerhöchste Zeit, nicht nur von der Solidarität mit den Menschen in Rojava zu reden, sondern sie auch in die Tat umzusetzen“, heißt es in dem Aufruf von KünstlerInnen, AutorInnen, WissenschaftlerInnen und anderen Persönlichkeiten. Sie erklären ihre Solidarität mit der „Commune von Rojava“, weil sie ein hoffnungsvoller Versuch ist, die Spaltungen entlang ethnischer und religiöser Linien im Nahen Osten zu überwinden. In dem Aufruf heißt es weiter: „Mit unserer Unterschrift spenden wir für die Selbstverteidigungskräfte YPG/YPJ in Rojava und rufen alle auf, dies ebenfalls zu tun.“
Zur Innenministerkonferenz am 6. Dezember in Köln organisiert ein breites linkes Bündnis, indem auch wir als YXK vertreten sind, eine bundesweite Demo gegen die Innenministerkonferenz. Fokus der Demo ist das PKK-Verbot und die Asyl-/Abschottungspolitik der BRD.
Sonst haben wir bundesweit zahlreiche Veranstaltungen zu den aktuellen Ereignissen. Infos erhaltet Ihr bei den Ortsgruppen unseres Verbandes. Wir vermitteln auch gerne ReferentInnen für Veranstaltungen.
i Furiosi: Vielen Dank für das Gespräch!