Der Text erschien zuerst in der TERZ 04/2020
Andere Perspektiven aus der Krise
Social Distancing ist das Zauberwort. Möglichst zu Hause bleiben, wo es sicher ist, sicher vor Ansteckung. Möglichst wenige Kontakte nach außen, um das Virus nicht weiter zu verbreiten und sich selber und seine Liebsten nicht zu gefährden. Alle sprechen von Solidarität untereinander, um sich und andere zu schützen.
Was aber ist mit den Menschen, für die das zuhause oder die Familie nicht der sichere Ort ist, sondern der, von dem die Gefährdung ausgeht? Was ist mit all jenen, die häuslicher Gewalt ausgesetzt sind und ihr immer weniger entfliehen können, da das öffentliche Leben immer mehr lahmgelegt wird? Was ist mit den Kindern, die nicht mehr wie in ihrer Zeit in Schule, Kindergarten oder Jugendzentrum Ansprechpersonen haben, denen sie von der Situation zuhause erzählen können? Personen, die sich kümmern und einschreiten können, wenn Kinder physischer oder psychischer Gewalt ausgesetzt sind? Was ist, wenn die Enge zusammen unerträglich wird und eine Spirale der Gewalt beginnt, sei sie psychisch, emotional oder körperlich.
Viele von uns arbeiten im sozialen Bereich, in Beratungsstellen oder an anderen Orten. Deshalb wissen wir, dass oft schon nach wenigen Tagen Eingeschlossen-Sein der Ausnahmezustand zur Gefahr wird.
Für alle von Gewalt Betroffenen ist die derzeitige Situation eine Katastrophe – nicht nur ist es schwieriger, nun Hilfe von außen zu bekommen, sondern es ist zusätzlich auch so, dass sich Konflikte in permanenter Enge, wenn man sich immer sieht, zuspitzen. Schon jetzt gibt es Studien aus China, nach denen die häusliche Gewalt in Corona-Zeiten massiv zugenommen hat.
Auch in Deutschland warnen Frauenhäuser, Erziehungsberatungsstellen, aber auch Polizei und andere vor einem starken Anstieg häuslicher Gewalt.
Selbst ohne Ausnahmezustand sind die Zahlen erschreckend. Jede dritte Frau hat in ihrem Leben bereits die Erfahrung von häuslicher Gewalt machen müssen. Zuallermeist geht die Gewalt von Partner*in oder Expartner*in aus. Der gefährlichste Ort für Frauen und Kinder war schon vor Corona oft das eigene Zuhause. Jetzt herrscht der Ausnahmezustand. Es herrscht Unsicherheit und Beunruhigung. Darüber, was in den nächsten Wochen und Monaten passiert. Wie es weitergeht. Mit der eigenen Gesundheit und der der Liebsten, mit der Schule und mit dem Job.
Alle Aktivitäten verdichten sich zuhause. Arbeit, Kindererziehung und die Familie. Da sind Konflikte und Überforderung vorprogrammiert. Und in vielen Familien sind Konflikte mit Gewalt verbunden.
Der Blick auf die Entwicklung in China zeigt, dass in diesen Zeiten die Polizeieinsätze wegen Gewalt in Beziehungen um 30 Prozent gestiegen sind. Auch in Österreich wird bereits nach Lösungen gesucht, um Frauen aktuell weiterhin bestmöglich unterstützen zu können. So werden beispielsweise jetzt leerstehende Hotels in die Hilfeplanung miteinbezogen.
Schon im Normalzustand ist die Situation oft dramatisch. Es gibt nicht ausreichende Plätze in Frauenhäusern. Im Gegenteil, viele Frauen mussten im vergangenen Jahr abgewiesen werden, da in den Düsseldorfer Frauenhäusern, aber auch in der näheren Umgebung und oft in ganz NRW einfach kein freier Platz zu finden war. 100 Frauen und ihre Kinder musste allein ein einzelnes Frauenhaus in Düsseldorf 2018 ablehnen, weil es permanent ausgelastet war.
Die finanzielle Situation von Frauenhäusern und Beratungsstellen ist seit Jahren schlecht. Es wird nur von Jahr zu Jahr Geld bewilligt. Viele Frauen, die dort Sicherheit suchen, können ihren Aufenthalt dort nicht selbst bezahlen, was sie aber eigentlich müssten. Schon allein das ist eine Unverschämtheit. Denn Frauen und Kinder, die im Frauenhaus Schutz suchen, sind oft die mit wenig eigenem Einkommen und sozialen Ressourcen.
Auf mehr Gewaltvorfälle nicht vorbereitet
Nicht auszudenken, was passiert, wenn in den nächsten Wochen die Zahlen der Gewaltvorfälle sprunghaft ansteigen. Auch in Deutschland arbeiten die Unterstützungseinrichtungen fieberhaft an Lösungen für betroffene Frauen. Der Bundesverband Frauenhäuser und Frauennotrufe warnt davor, dass es in Zeiten der Kontaktverbote und des Social Distancing sowohl für Betroffene schwieriger werden wird, Hilfe zu suchen, als auch für helfende Menschen problematisch, Gewalt überhaupt zu erkennen.
Auch für Kinder, die von Gewalt betroffen sind, wird es schwieriger und fast unmöglich, sich Hilfe zu holen. An wen sollen sie sich wenden? Lehrer*innen, Freund*innen, Erzieher*innen in der Kita oder die Sozialpädagog*innen in Kinder- und Jugendfreizeiteinrichtungen fallen weg. Oft sind es aber genau diese, die zuerst merken, dass ein Kind misshandelt wird, psychisch oder physisch. Sie sind Kontakt- und Ansprechpersonen, die versuchen, genauer hinzuschauen. Sie sind die, denen als Erstes der blaue Fleck oder die Verhaltensveränderung auffällt. Sie sind häufig eine Anlaufstelle, bei der Kinder sich offenbaren und Hilfe suchen – oder auch nur die Möglichkeit nutzen, einen Teil des Tages außerhalb des häuslichen Umfeldes zu verbringen, das kein Schutz sondern eine Gefahr darstellt. Je jünger Kinder sie sind, desto gravierender wird die Schutzlosigkeit, sie können oft nicht einfach irgendwo anrufen, wenn sie in Gefahr sind. Kinder sind darauf angewiesen, dass jemand nachfragt, wenn sie noch nicht sprechen können. Dass jemand nachsieht, dass das Umfeld aufmerksam ist.
Was tun?
Deshalb ist es immer und besonders gerade jetzt wichtig, ein offenes Ohr zu haben. Solidarität endet nicht bei Einkäufen für die Nachbarschaft und Applaus für Care-Arbeiter*innen am Abend.
Schaut hin, hört hin und sprecht miteinander, wenn ihr euch Sorgen macht. Fragt nach, wenn ihr merkt: In eurer Nachbarwohnung stimmt etwas nicht. Unterstützt diejenigen in eurem Umfeld, die eventuell gerade nicht in der Lage sind, selbst zum Telefon zu greifen.
Die angegebenen Telefonnummern sind auch jederzeit für Unterstützer*innen zu sprechen und beraten Euch, wie ihr helfen könnt.
Was ihr darüber hinaus tun könnt, ohne euch zu gefährden:
- Hängt direkt neben die Nachbarschaftshilfezettel im Treppenhaus die Nummern von Notrufnummern auf. Ihr könnt sie direkt aus der TERZ ausschneiden 😉
- Ihr könnt die (vermeintliche) Gewaltsituationen unterbrechen, indem ihr mit einem Vorwand klingelt oder Hilfe ruft
- Ihr könnt die Betroffene(n) alleine ansprechen und das Gespräch suchen. Sagen, dass ihr gemerkt habt, dass etwas nicht stimmt und Hilfe signalisieren
- Mit Anderen z.B. in der Nachbarschaft sprechen, wenn ihr unsicher seid, was nebenan passiert, und euch gemeinsam eine Lösung überlegen
i furiosi
Notfall-Telefonnummern Flingern Mobil / Kontaktcafé Mobilé
Angebot für drogengebrauchende Menschen mit Lebensmittelpunkt Straße (mit offener Sprechstunde)
Charlottenstraße 31, 0211/1306898
Düsseldorfer Drogenhilfe
Erkrather Straße 18
Telefonsprechstunden: Mo-Do 14-17 Uhr & Freitag 10-14 Uhr
Telefonkontakt außerdem: Mo-Fr 9-14 Uhr 0211/301446-0
komm-pass
Drogenberatungsstelle der caritas
0211/17520880
Charlottenstraße 30 – vorbeigehen und nach den aktuellen Sprechstunden schauen, normalerweise:
Mo-Mi 9-13 Uhr
Mo-Do 14-17 Uhr
frauenberatungsstelle düsseldorf e.V
0211/686854, Mo-So von 10-22 Uhr
Im Akut-Fall kann eine Unterbringung der betroffenen Frauen und ihrer Kinder ermöglicht werden.
ProMädchen
0211/487675
Mo & Do 8-13 Uhr
Di & Mi 14-17 Uhr
Hilfetelefon – Gewalt gegen Frauen
08000/116016
24 Stunden erreichbar
Zuflucht für Mädchen und junge Frauen
zwischen 14 und 21 Jahren
0211/31192960
zuflucht [at] promaedchen [dot] de
Bezirkssozialdienst
Der Bezirkssozialdienst ist eine erste Anlaufstelle für Beratungen und kann weitere Hilfen vermitteln.
https://duesseldorf.de/jugendamt/fuer-familien-da-sein/bsd/schutzauftrag.html
Städtisches Kinderhilfezentrum
Notaufnahme für Mädchen und Jungen in Düsseldorf, die sich in akuten Krisen oder Konfliktsituationen befinden und um Inobhutnahme bitten (Aufnahme jederzeit)
– von 0 bis 13 Jahren
Telefon: 0211/8998177
Städtisches Kinderhilfezentrum
Eulerstraße 46, 40477 Düsseldorf
– Mädchen von 14 bis 17 Jahren
Telefon: 0211/8998637
Mädchenschutzgruppe im städtischen Kinderhilfezentrum
Kuthsweg 43, 40231 Düsseldorf
– Jungen von 14 bis 17 Jahren
Telefon: 0211/8928951
Jungenschutzgruppe im städtischen Kinderhilfezentrum
Aschaffenburger Straße 8, 40599 Düsseldorf