Suchthilfe im Krisenmodus

Der Text erschien zuerst in der TERZ 04/2020

Andere Perspektiven aus der Krise

Innerhalb weniger Wochen hat sich das Leben von uns allen drastisch verändert. Die meisten Läden sind geschlossen, Kitas und Schulen zu, Kontaktsperre, kein Klopapier mehr und niemand weiß, wie es weitergeht. Das Corona-Virus betrifft uns alle – weltweit. Aber einige Menschen sind von den Maßnahmen in der Krise mehr betroffen als andere. Wir werfen in einer mehrteiligen Serie einen Blick auf Menschen, die schon vor Corona gesellschaftlich wenig sichtbar waren.

In Düsseldorf leben etwa 3.000 Menschen, die Kokain, Heroin oder anderen Opiate nutzen und von verschiedenen Einrichtungen der Suchtkrankenhilfe Unterstützung erfahren. Was bedeutet es jetzt – zu einer Zeit von Kontaktverboten und zahlreichen anderen Einschränkungen – abhängig von Drogen und auf bestimmte Hilfe angewiesen zu sein? Und wie geht es den Mitarbeiter*innen in den Einrichtungen?

Kontakt-Alltag

Alex arbeitet als Streetworker für einen Düsseldorfer Hilfsdienst und bekommt im Alltag mit, was das Kontaktverbot für die Szene bedeutet: „Unser Klientel hat ja seinen Lebensmittelpunkt großteils auf der Straße und macht ,Platte‘, das heißt sie treffen sich an öffentlichen Orten wie dem Worringer Platz oder dem Oberbilker Markt. Dort zusammen zu sein ist ihr Alltag. Ihre Alternative ist es, den ganzen Tag allein irgendwo draußen zu sitzen oder herum zu laufen.“ Seit Inkrafttreten des Bußgeld-Kataloges des Landes NRW werden diese Szenetreffpunkte mehrmals am Tag von Polizei und Ordnungsamt kontrolliert, Gruppen werden aufgelöst, der Abstand von zwei Metern eingefordert. Die Polizei tritt dabei besonders rigoros auf und hat bisher nach ignorierten Platzverweisen sogar schon Strafverfahren eingeleitet. Der Sozialpädagoge kann diese Maßnahmen nicht nachvollziehen: „Natürlich schützt das Kontaktverbot vor einer Ausbreitung der Pandemie und ist vollkommen sinnvoll. Allerdings scheint es so manchem Polizeibeamten an Verständnis für eine Suchtkrankheit komplett zu fehlen. Unsere Klientel steht nun mal den Großteil des Tages unter dem Einfluss von Drogen und kann oft einfach nicht richtig erfassen, worum es geht oder ist nicht in der Lage eine Alternative umzusetzen. Was es bringt, den Justizapparat mit so einem Verfahren zu belasten, weiß ich nicht.“

Vervielfältige Schwierigkeiten

Dazu kommt, dass enge Kontakte oft nicht zu vermeiden sind. Etwa 1.600 Suchtkranke in Düsseldorf nehmen an einem sogenannten Substitutionsprogramm teil, das bedeutet, sie bekommen jeden Morgen von spezialisierten Ärzt*innen eine Ersatzdroge wie Polamidon. Vor den wenigen Praxen, die diese Leistung anbieten, ballen sich morgendlich unzählige Betroffene, die sich kaum aus dem Weg gehen können. Manche Ärzt*innen betreiben mehrere Praxen und haben nun den Betrieb zusammengelegt – hier treffen sich zur Vergabezeit zwangsläufig hunderte Menschen.

Einige Hilfseinrichtungen sind Teil der sogenannten kritischen Infrastruktur, also jenem Teil etwa der Organisationen und Einrichtungen, die mit ihrer Arbeit sicherstellen, dass die Gesellschaft keinen Schaden nimmt. Für manche Anlaufpunkte für Drogengebrauchende ist dieser Status, weiter ‚geöffnet‘ sein zu dürfen, unklar oder noch zu beantragen. Sicher aber ist: Viele dieser Einrichtungen können nur noch eingeschränkt arbeiten. Wichtige Beratungsangebote fallen bereits weg und auch im Notbetrieb lässt sich Kontakt – anders als in anderen Bereichen – nicht vermeiden. Alex erzählt: „Klar kann ich noch draußen auf der Straße unterwegs sein. Suchthilfe ist eben Kontaktarbeit. Viele unserer Betreuten sind nicht anders zu erreichen, ich kann keine Beratungs-Videokonferenz mit wohnungslosen Suchtkranken via Skype machen.“ Dazu kommt, dass sich weiterführende Hilfen, wie Entgiftungs- und Entzugsmöglichkeiten ebenfalls reduzieren und Aufnahmen in Rehabilitationskliniken kaum noch möglich sind.

Allen Einrichtungen fehlt es an Schutzausrüstung für die Mitarbeiter*innen, Filtermasken oder Schutzbrillen sind auch hier Fehlanzeige, überall wird nach kreativen Lösungen gesucht. Bestände von Desinfektionsmitteln sind mittlerweile aufgebraucht und können kaum aufgestockt werden. Die entsprechende Schutzausrüstung ist dringend notwendig, denn Kontakte zu vermeiden ist aus den beschriebenen Gründen schwierig.

Alle Ämter und Einrichtungen arbeiten unter Hochdruck an Ideen zur Lösung der täglichen Probleme – trotzdem dauert manches für die Kolleg*innen in der täglichen Arbeit natürlich zu lang, da sie jeden Tag aufs Neue mit diesen Problemen konfrontiert sind und auf Abhilfe warten. Dies führt zu Überforderungen und Unsicherheiten. „Man sieht, dass jetzt schon viel geleistet wird, um unsere Arbeit zu ermöglichen! Schutzausrüstung, die nicht da ist, kann auch nicht verteilt werden, dass verstehen wir – nur brauchen wir sie!“ räumt Alex ein.

Drogengebrauchende und suchtkranke Menschen gehören oftmals aufgrund unzähliger Vorerkrankungen und des allgemein schlechten Gesundheitszustandes zur Risikogruppe. Da viele suchtkranke Menschen auch wohnungslos sind, vervielfachen sich Schwierigkeiten und Risiken. Schon Mitte März wies fiftyfifty darauf hin, dass wohnungslose Menschen noch mehr als vor der Corona-Pandemie von Vorbeigehenden gemieden werden. Es fallen also auch die kleinen, aber enorm wichtigen Einkünfte durch den Verkauf eines Straßenmagazins oder durch Spenden weg. Und nicht nur die Einrichtungen der Suchtkrankenhilfe können nur noch eingeschränkt arbeiten, auch Anlaufstellen für wohnungslose Menschen sind geschlossen oder arbeiten eingeschränkt. Den allgemeinen Ratschlag, sich regelmäßig zur Vorbeugung einer Ansteckung die Hände zu waschen, ist für Menschen auf der Straße kaum umzusetzen und auch die Versorgung mit Lebensmitteln ist knapp.

Konkret dringend

Schwer absehbar ist die Entwicklung in den kommenden Wochen: In welchem Umfang wird der Import von Drogen von der Pandemie durch Grenzschließungen etc. betroffen sein? Wird es hier zu einer Verknappung und Verteuerung kommen? Alex weiß: „Aus anderen Städten hören wir schon, dass die Versorgung mit Drogen knapp wird. Entsprechend steigt die Nachfrage nach Substitutionsplätzen. Es wäre hilfreich, wenn großzügig Take Home[1] ermöglicht würde, dann müssen die Betroffenen nicht täglich zur Praxis. Und für die Kokainisten wurde vorgeschlagen, über die Verschreibung von zumindest ähnlich wirkenden Medikamenten wie z.B. Ritalin nachzudenken. Ich fände das gut – alles was hilft ist derzeit willkommen.“

Es wird also deutlich: Wer suchtkrank ist und seinen*ihren Lebensmittelpunkt vielleicht auch auf der Straße hat, ist durch die Einschränkungen und Veränderungen, die sich durch die Corona-Pandemie ergeben haben, besonders stark betroffen: Das Infektionsrisiko ist groß, rechtliche Konsequenzen durch das verständnislose Agieren der Ordnungsbehörden sind unausweichlich, Unterstützungsangebote fallen weg oder sind eingeschränkt und auch die Versorgung mit Stoff könnte in Zukunft enger werden. Solidarität und Wertschätzung ist auch hier, sowohl für die suchtkranken Menschen also auch für die Personen, die wie Alex in diesem Bereich arbeiten, weiterhin mehr als angebracht. Doch reicht das nicht aus. Konkrete Maßnahmen müssen geplant und umgesetzt werden. Dabei scheint die Bereitstellung von ausreichend Schutz- und Hygieneartikeln für Suchtkranke und Mitarbeiter*innen in den Einrichtungen, die Anpassung der Substitutionsprogramme und das Schaffen alternativer Unterkünfte unverzichtbar.

[1]  Take-Home bedeutet, dass die Substituierten ein Rezept für eine Wochendosis bekommen und das Medikament mit nach Hause nehmen können. Dies ist „stabilen“ Patient*innen vorbehalten, es wird aber angeregt, diese Regelung zur Reduzierung der Ansteckungsgefahr großzügiger auszulegen.