cOrOna und die Flüchtlingsunterkünfte

Der Text erschien zuerst in der TERZ 05/2020

Andere Perspektiven aus der Krise

Seit mehr als drei Wochen gilt nun schon die Kontaktsperre. Wir alle wissen, dass wir unsere direkten Kontakte mit anderen Menschen einschränken sollen. Unmöglich ist das, wenn man in einer überfüllten Sammelunterkunft für Geflüchtete auf engstem Raum lebt.

In diesen müssen sich Menschen Schlafzimmer, Badezimmer, Küche und Speiseräume mit vielen anderen Menschen teilen.

So erzählt A., der in einer solchen Unterkunft in Düsseldorf lebt, dass seine 70-jährige Mutter, genauso wie er, in einem Gemeinschaftsschlafzimmer schläft und die Gemeinschaftseinrichtungen, wie Badezimmer und Küche nutzen muss. Die Flure seien eng, man könne sich gar nicht aus dem Weg gehen, sagt A. Abstandswahrung ist nicht möglich. Auch Angehörige von Risikogruppen leben hier zusammen und niemand hat die Möglichkeit sich selbst oder andere zu schützen.

Die Gesundheitsversorgung ist nicht mehr ausreichend sichergestellt, denn der Zugang zu Übersetzer*innen ist eingeschränkt, sodass Begleitungen zu ärztlichen Terminen oder auch Behörden nur schwer realisierbar sind, wenn Betroffenen die deutsche Sprache nicht ausreichend beherrschen.

Auch psycho-soziale Therapien werden aktuell nicht, oder nur für bereits angebundene Patient*innen, angeboten. Neuaufnahmen sind oft nicht möglich. Geflüchtete sind hiervon besonders betroffen, da sie häufig fluchtbedingt traumatisiert sind. Die momentanen Einschränkungen und Unsicherheiten sind eine zusätzliche psychische Belastung.

Informationen über Corona sind nicht in allen Sprachen vorhanden oder wenn, nur sehr oberflächlich. Das führt zu Unsicherheit und Unwissen. Geflüchtete informieren sich im Internet und geraten immer wieder an Falschinformationen oder Verschwörungstheorien.

A. erzählt auch davon, dass in seiner Unterkunft die Sozialberatung nur noch im Homeoffice arbeitet. So ist es auch in anderen Düsseldorfer Unterkünften. Wer also ein dringendes Anliegen hat, zum Beispiel Briefe von Behörden oder – was oft passiert – Zahlungen, die fälschlicherweise von Jobcentern oder dem Amt für Soziales eingestellt wurden, muss die Sozialberater*innen telefonisch erreichen können oder in der Lage sein, per E-mail zu kommunizieren.

Auch werden Einschränkungen in den Unterkünften erhöht, sodass teilweise Besuche verboten sind. A., dessen Frau und Kinder momentan in einer anderen Düsseldorfer Einrichtung leben, kann seine Familie nur noch draußen treffen. H., mit dem wir ebenfalls Kontakt aufgenommen haben, findet das Besuchsverbot angebracht, da es, rein auf die Corona-Verbreitung bezogen, Sinn mache. Doch er erzählt von den großen Ängsten, depressiver Stimmung und Unsicherheiten unter den Geflüchteten, die nun noch mehr als vorher den Alltag bestimmen. Die wenigen Ablenkungen von einem tristen Alltag, die es vorher gab wie das Treffen mit Freund*innen oder der Besuch eines Deutschkurses sind nun nicht mehr oder nur sehr eingeschränkt möglich. Auch wer arbeiten darf, häufig in prekären Jobs, arbeitet jetzt in Kurzarbeit oder wurde direkt gekündigt.

Aus einer ZUE (Zentrale Unterbringungseinrichtung) in NRW erfahren wir noch von anderen Maßnahmen. Wir haben mit K. telefoniert, der uns von der Situation in seiner Unterkunft erzählt. Hier wurden einige Zimmer frei gemacht, die für Verdachts- und Quarantänefälle genutzt werden sollen. Die Menschen, die in diesen Zimmern lebten, wurden auf andere Zimmer umverteilt. So teilen sich nun beispielsweise zwei Familien auf unbestimmte Zeit ein Zimmer, und für die Menschen in der Unterkunft wird es noch enger.

„Die Bedingungen müssten sich verbessern, um uns vor dem Corona-Virus zu schützen, aber die Dinge verschlechtern sich.“ sagt K.
K. lebt seit mehreren Monaten, nach einem schwierigen Asylverfahren, wieder in einer großen Unterkunft im Rheinland [1]. Ihm fehlt, wie vielen anderen Menschen, eine Aufenthalts- sowie Arbeitserlaubnis. Von den 31 Euro, die eine erwachsene Person in der Unterkunft wöchentlich bekommt, kann man sich weder gesundes Essen, ausreichend Hygieneartikel wie Desinfektionsmittel oder andere Schutzartikel leisten.

Schon lange wird die zentrale Unterbringung von Geflüchteten in großen Heimen und Anlagen kritisiert. Dass sich mehrere Menschen die gleichen Schlafräume, Kochmöglichkeiten (falls überhaupt vorhanden) und Badezimmer teilen müssen, ist nicht erst seit der Corona-Krise problematisch, doch jetzt drohen den Bewohner*innen der völlige Verlust der Privatsphäre sowie ihre Bewegungsfreiheit und schwere Gesundheitsgefährdungen. Eine kleine Protestaktion, die K. und weitere Bewohner*innen der Unterkunft abgehalten hatten, um bessere Bedingungen zu fordern, wurde von der Polizei unterbunden. Es drohen Strafen, wenn man sich nicht an das Kontaktverbot hält. K. fragt sich, warum nicht den Verantwortlichen der Unterkunft auch Strafen drohen, wenn sie acht Personen in einen Raum stecken. Nachdem K. sich wegen den nicht vorhandenen Schutzmaßnahmen bei der Leitung und der zuständigen Bezirksregierung beschwert hat, drohte man ihm mit „Schwierigkeiten in der Unterkunft“, wenn er keine Ruhe gäbe.

Flüchtlingsselbstorganisation und Protest

Auch in anderen Unterkünften protestierten die Bewohner*innen bereits gegen die Unterbringungsbedingungen und stellten Forderungen auf. In der zentralen Anlaufstelle für Geflüchtete (ZASt) in Halberstadt (Sachsen-Anhalt) sind die Bewohner*innen in einen Hungerstreik getreten und veröffentlichten einen Forderungskatalog [2] im Internet. Es befinden sich seit Anfang April, als der erste Corona-Fall in diesem Lager bekannt wurde, alle 839 Bewohner*innen in Quarantäne. Niemand (außer die Mitarbeiter*innen) darf das Lager mehr verlassen. Gleichzeitig konnte das Land Sachsen-Anhalt nicht einmal die Versorgung mit dem Notwendigsten wie Hygieneartikeln und Lebensmitteln sichern. Auch gab es im Laufe der Proteste Auseinandersetzung mit den angestellten Securitys. Mittlerweile hat das Landesverwaltungsamt auf die Proteste mit einer besseren Versorgung, Umzug von Risikogruppen, engmaschigerer Untersuchung und neuer Unterbringung von Personen, die mit dem Corona-Virus infiziert sind, reagiert.

In der Landeserstaufnahme (LEA) in Ellwangen (Baden-Württemberg) konnte die Ausbreitung des Virus nicht verhindert werden. Fast die Hälfte der Bewohner*innen ist mittlerweile infiziert, auch diese Einrichtung steht unter Quarantäne. Viele Bewohner*innen haben in den Quarantäne-Blocks keinen Zugang zum Internet, können keinen Kontakt zu Angehörigen aufnehmen und sind auch von sämtlichen Informationen über das Virus abgeschnitten [3].

Es gibt einen gemeinsamen Appell von verschiedenen Initiativen und Organisationen, darunter Women in Exile & Friends, Jugendliche Ohne Grenzen oder We’ll Come United. In diesem fordern sie unter anderem „ (…) eine sofortige Auflösung der Massenunterbringung in Gemeinschaftsunterkünften, Erstaufnahmeeinrichtungen und Ankerzentren. (…) Im gesamten Bundesgebiet stehen zahlreiche Wohnungen, Ferienapartments und Hotels leer. Diese Räume müssen sofort durch die zuständigen Behörden zur dezentralen Unterbringung aktiviert und genutzt werden.“ Darüber hinaus fordern sie einen besseren und barrierefreien Zugang zur Gesundheitsversorgung für alle Menschen und alle Geflüchteten aus griechischen Lagen zu evakuieren [4].

I Furiosi

[1]  In Absprache mit der interviewten Person wurden hier Name und Wohnort anonymisiert.
[2]  Für weitere Informationen: http://antiranetlsa.blogsport.de/2020/04/04/halberstadt-dezentralisierung-jetzt-schutz-vor-infektion-fuer-alle-solidaritaet-mit-den-hungerstreikenden-der-zast-in-halberstadt/
[3]  https://refugees4refugees.wordpress.com/2020/04/13/corona-chaos-in-ellwangen
[4]  Für weitere Informationen: https://welcome-united.org/de/appell-zur-corona-lage/