Der Text erschien zuerst in der TERZ 05/2020
Andere Perspektiven aus der Krise
Seit Beginn der Corona-Krise hat sich auch für Menschen im Arbeitsfeld sexueller Dienstleistungen die Situation schlagartig verändert. Alle Einrichtungen, in denen Sexarbeit angeboten wurde, sind nun geschlossen. Damit verschärft sich für jene Menschen, die in diesem Bereich arbeiten, ihre ohnehin oft schon prekäre Situation.
Aber wie geht es jetzt für die Sexarbeiter*innen weiter? Und gibt es von staatlicher Seite Unterstützung? Über diese und andere Fragen haben wir mit Martina gesprochen. Sie arbeitet als Sozialarbeiterin bei einem Beratungsangebot für Sexarbeiter*innen im Rheinland:
Wie sieht deine Arbeit konkret aus?
Normalerweise besteht meine Arbeit aus aufsuchender Arbeit, an den Orten, an denen Sexarbeit angeboten wird, also in Bordellen, Clubs und Wohnungen und aus Arbeit in unserer Beratungsstelle. Dort können uns Klientinnen mit ihren individuellen Fragestellungen aufsuchen. Aufgrund der Corona-Krise haben wir sowohl die aufsuchende Arbeit als auch die persönliche Beratung einstellen müssen. Nach Schätzungen von Behörden und Beratungsstellen sind 80% der Sexarbeitenden, die nicht aus Deutschland kommen, in ihre Heimatländer zurückgegangen, als die Grenzen noch offen waren. Die übrigen sind in den Städten geblieben, in denen sie eine Wohnung haben oder arbeiten. Es gibt Klientinnen, mit denen wir schon in einem Beratungsprozess waren, diese führen wir natürlich weiter, nur eben jetzt übers Telefon. Ansonsten sind wir die Orte und Adressen, die wir kennen, abgefahren und haben Flyer eingeworfen, die darüber informieren, dass wir weiterarbeiten und für Fragen erreichbar sind. Außerdem haben wir die einschlägigen Foren, in denen die Menschen ihre Dienste anbieten angeschrieben und unser Angebot vorgestellt. Inhaltlich besteht unsere Arbeit aktuell hauptsächlich daraus, die Sexarbeitenden bei ihrer Existenzsicherung zu unterstützen. Daneben gibt es aber auch weiterhin andere Themen, mit denen an uns herangetreten wird. Wir sind weiterhin erreichbar über Telefon, Mail und Messenger.
Was hat sich an der Situation für Sexarbeitende seit Beginn der Corona-Krise verändert?
Alles! Aufgrund einer Allgemeinverfügung zum Schutz der Bevölkerung vor dem Corona-Virus wurde nach dem Infektionsschutzgesetz in den einzelnen Städten die Schließung von Prostitutionsstätten, Bordellen und ähnlichen Einrichtungen angeordnet. Das bedeutet, dass die Sexarbeitenden ihre Tätigkeit nicht mehr ausführen dürfen und von heute auf morgen kein Einkommen mehr hatten. Natürlich gab es hier, wie anderen Branchen auch, Menschen, die Rücklagen gebildet haben, einige aber auch nicht, weil sie zum Beispiel nicht genug verdient haben.
Die allerwenigsten haben allerdings Rücklagen für so eine lange Zeit gebildet. Dazu kommt die Unsicherheit, wann die Verfügungen wieder aufgehoben werden. In diesem Bereich ist ein Mindestabstand von 1,5 m logischerweise nicht einhaltbar. Es gibt Sexarbeitende, die aufgrund der geschlossenen Grenzen nicht mehr nach Hause kommen und nun in der Stadt, in der sie gearbeitet haben, festsitzen. Existenzangst und Unsicherheit beschreiben ihre Situation am besten, denke ich.
Gibt es in der aktuellen Situation Hilfe von Seiten der Stadt für Sexarbeiter*innen?
Die gibt es, soweit wir dies durch unsere Vernetzung mit den Beratungsstellen der unterschiedlichen Städte mitbekommen, in fast allen Städten. Neben der Soforthilfe haben Selbstständige – und Sexarbeitende sind Selbstständige – die Möglichkeit, Leistungen nach dem SGB II, gemeinhin als Hartz IV bekannt, zu beantragen, wenn ihr Einkommen und damit ihre Existenzsicherung wegfallen. Hier gab es Erleichterungen in den Antragsverfahren, auch für EU-Bürger*innen aus anderen Ländern. Das ist unter Nicht-Corona-Bedingungen deutlich anders. Wir haben viele Frauen bei der Stellung von Anträgen unterstützt und warten nun darauf, ob diese auch bewilligt werden. Wenn dies nicht reibungslos läuft, stehen wir natürlich vor einem großen Problem. Die Sexarbeitenden sind häufig Menschen, die nicht ausreisen können und hier aber ihrer Tätigkeit nicht nachgehen können und somit mittellos sind. Das Bundesfamilienministerium hat den Abschnitt im sogenannten Prostituiertenschutzgesetz außer Kraft gesetzt, der das Übernachten in Prostitutionsstätten verbietet, so dass Sexarbeitende, die nicht mehr rechtzeitig ausreisen konnten, dort erst mal bleiben konnten. In Düsseldorf beispielsweise ist aber auch eine Unterbringung möglich, wenn sie die Möglichkeit in den Bordellen zu übernachten, verlieren und dann wohnungslos sind. Da greift das Hilfenetz für Menschen ohne festen Wohnsitz.
Was müsste passieren damit sich die Situation für Sexarbeitende verbessert?
So lange Prostitutionsstätten geschlossen bleiben, ist ein unkomplizierter Zugang zu staatlichen Leistungen notwendig, um ihre Existenz zu sichern, und zwar unabhängig von ihrer Nationalität. Dies würde unserer Ansicht nach auch eine Stigmatisierung ausschließen. Außerdem wäre sicherlich auch für sie eine transparente Exit-Strategie wichtig, um die nächsten Wochen und Monate zu planen.
Haben Menschen in Sexarbeit ein Anrecht auf staatliche Soforthilfe?
Wie alle Selbstständigen haben auch Sexarbeitende das Recht, die Soforthilfe zu beantragen. Wir haben auch schon Rückmeldung von Frauen, die die Hilfe bewilligt und überwiesen bekommen haben. An dieser Stelle wird kein Unterschied gemacht, sie werden als Solo-Selbstständige betrachtet, wie alle anderen auch. All diese Möglichkeiten gelten natürlich nur für Sexarbeitende, die hier legal für den Sex-Job angemeldet sind. Viele Sexarbeitende sind das aber nicht! All jene, die sich illegal in Deutschland aufhalten, fallen natürlich durch alle Hilfsnetze. Wichtig wäre ein Hilfefonds insbesondere auch für jene, die durch alle Rastern fallen und die nicht von den regulären staatlichen Hilfen profitieren, damit auch ihre Grund- und Gesundheitsversorgung sichergestellt werden kann.
Bekommt ihr mit, wie die Freier auf die Situation reagieren?
Zum Teil bekommen wir dies mit. Es sind beispielsweise manchmal Freier, die den Kontakt zu uns suchen. Es gibt Freier, die die Frauen mit Sachmitteln wie z. B. einem Fernseher unterstützen, damit ihnen nicht langweilig wird in der Wohnung oder die auch finanziell helfen. In den unterschiedlichen Foren ist es ruhiger geworden, es scheint, als würde sich weitestgehend an die Verordnungen gehalten. Einzelne Frauen berichten allerdings von absolut krassen Anfragen zu Dumpingpreisen mit der Begründung, sie müssten ja nehmen, was kommt. Dann hören wir auch von Frauen, die weiter ihre Dienste anbieten, also muss es auch weiter Freier geben, die diese in Anspruch nehmen. Wie immer ist die Bandbreite an Reaktionen groß.
Die Sexarbeitenden selbst vertreten klare Forderungen, was in der derzeitigen Lage wichtig ist. Der BesD e.V (Berufsverband Sexarbeit) fordert unter anderem ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle und die sofortige Einrichtung eines Rettungsschirms für alle Betroffenen.
Wir bedanken uns für das Gespräch.
I Furiosi
Projekt RAHAB – Beratung für Menschen in der Prostitution
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