Rede der Gedenkveranstaltung zum 20. Jahrestag des rassistischen und antisemitischen Bombenanschlags am Bahnhof Wehrhahn von Düsseldorf stellt sich quer:
Sehr geehrte Anwesende, liebe Antifaschistinnen und Antifaschisten,
wir stehen hier am Ort wo vor nunmehr zwanzig Jahren ein furchtbarer Anschlag stattgefunden hat. Dort drüben auf der Fußgängerbrücke detonierte am Nachmittag des 27. Juli eine selbstgebaute, per Fernzünder, ausgelöste Bombe. Sie war gezielt gerichtet gegen Sprachschülerinnen und Sprachschüler, die hier in der Nähe einen Deutsch-Sprachkurs besuchten. Sie kamen vor allem aus den Nachfolgestaaten der Sowjet-Union. Mehrere von ihnen waren jüdischen Glaubens und wollten sich in Deutschland eine neue Perspektive aufbauen.
Der Täter suchte bewusst diese Gruppe als Ziel des Mordanschlags aus. Weil die Opfer in seinen Augen vermeintlich jüdisch waren, weil sie als nicht zugehörig betrachtet wurden und weil sie hier als Einwanderinnen und Einwanderer lebten. Das Motiv des damaligen Anschlages hat auch heute eine traurige Aktualität. Antisemitismus und Rassismus sind dabei keinesfalls nur einem vermeintlich rechten Rand zuzuordnen, sondern besitzen auch in der Mitte der Gesellschaft eine hohe Anschlussfähigkeit. Die etablierten Parteien nehmen die menschenverachtenden Ansichten von AfD und andere Nazis auf und verschieben maßgeblich den politischen Diskurs nach Rechts. Davon betroffen sind Menschen mit vermeintlicher Migrationsgeschichte, Schwarze Deutsche, Juden und Jüdinnen und alle Menschen, die als „anders“ und nicht zugehörig betrachtet werden.
Die Morde von Hanau, der Mord an Lübcke und das Attentat von Halle sind nur die letzten bundesweit bekannt gewordenen Anschläge in einer langen Reihe. Rassistische Angriffe sind Alltag geworden. Gegen diesen rassistischen Normalzustand müssen wir uns wehren!
Es erfüllt uns auch mit Scham und Sorge, wenn Menschen in Deutschland auf offener Straße beleidigt und angegriffen werden, weil sie eine Kippa tragen. Antisemitismus ist kein Problem, dass von außen durch Einwanderung in die deutsche Gesellschaft hereingetragen wird. Der Antisemitismus ist schon lange Teil dieser Gesellschaft.
Der Angeklagte im Wehrhahn-Prozess, der allen Prozessbeobachtern als der Täter gilt, stammte aus dem Umfeld der deutschen Düsseldorfer Neonazi Szene. Diese begrüßten damals den Anschlag mit dem Kommentar „Bombenstimmung in Düsseldorf“.
Aber immer noch wird die Gefahr, die von Rechts ausgeht von Polizei und Justiz verharmlost. Die Urteile im NSU-Prozess, sowie der Freispruch im Wehrhahn-Prozess, sind ein Schlag ins Gesicht der Betroffenen. Trotz deutlicher Beweise und aller auf ihn deutenden Indizien wurde der vermutliche Täter des Wehrhahn-Anschlages freigesprochen.
Nach jahrelanger Ungewissheit und dem Versuch, die körperlichen und psychischen Folgeschädigungen des Anschlags zu verarbeiten, war die Eröffnung des Wehrhahn-Prozesses für die Betroffenen mit einer Vielzahl von emotionalen Herausforderungen verbunden. Es kam zu einer erneuten Konfrontation mit der Tat und vor allem mit dem Angeklagten. Gleichzeitig war die Prozesseröffnung aber auch ein Hoffnungsschimmer angesichts der jahrelangen Ungewissheit und dem Wunsch nach lückenloser Aufklärung der Tat.
Mit dem Freispruch des Angeklagten ist das Thema Wehrhahn-Anschlag vorläufig juristisch abgeschlossen. Für die Betroffenen wird es das nicht sein. Den Wunsch nach lückenloser Aufklärung der Tat, hat der Prozess nicht erfüllt.
Bei Prozessauftakt protestierten wir vor dem Gerichtsgebäude und haben auf Schildern Fragen gestellt: Was wusste der Verfassungsschutz? Wer ist für die damalige dilettantische Arbeit bei der Polizei verantwortlich? Was wusste die örtliche Nazi-Szene über den Anschlag? Alles Fragen, die im Prozess nicht beantwortet wurden.
Die Düsseldorfer Polizei hatte vor zwanzig Jahren schlampig gearbeitet. Der Tatort wurde nicht ordentlich gesichert, die Überwachung des jetzigen Angeklagten wurde nicht lang genug durchgeführt. Die offizielle Hausdurchsuchung fand erst Tage nach dem Anschlag bei dem Angeklagten statt, und das, nachdem ihn Beamte des Staatsschutz durch eine oberflächliche Begehung seiner Wohnung quasi vorgewarnt hatten. Diese Schlampereien führten letztendlich mit zu dem Freispruch. Mal wieder wurde ein Nazi von einem Gericht mit Samthandschuhen angefasst und man fragt sich, was es denn noch an Indizien und Beweisen braucht um einen Attentäter zu verurteilen. Ein wirkliches Interesse am Aufklären des Anschlags konnten wir im Verhalten des Gerichts nicht erkennen.
Und so reiht sich der Freispruch ein in das Umgehen mit dem Anschlag und den Opfern. Vor zwanzig Jahren leugnete die Polizei, die Staatsanwaltschaft und nicht zuletzt die Stadtoberen, dass Düsseldorf ein Nazi-Problem habe. Wir Düsseldorfer Antifaschistinnen und Antifaschisten reagierten damals kurz nach dem Anschlag mit einer Demonstration mit mehreren Tausend Menschen gegen den faschistischen Anschlag und wir forderten die Untersuchung nach rechtsradikalen Motiven. Die Stadt reagierte mit Schweigen und stahl sich aus der Verantwortung. Hilfe für die Betroffenen gab es damals von offizieller Seite kaum. Erst auf Druck der Nebenklagevertreterin, zivilgesellschaftlichen Organisationen und antifaschistischen Gruppen wurde nun endlich 20 Jahre nach dem Anschlag eine Gedenktafel am Ort des Geschehens aufgestellt.
Es liegt an uns allen, ein Klima in der Stadt herzustellen, in der Neonazis keinen Fußbreit auf den Boden bekommen. Für eine Stadt der Solidarität, für eine antifaschistische Stadt. Lasst uns unsere Solidarität mit allen Betroffenen rassistischer und antisemitischer Gewalt und rechten Terrors zum Ausdruck bringen und diese auch gesellschaftspolitisch einfordern! Wir müssen Zeichen setzen gegen Rechts, gegen Nazis, gegen rechten Populismus, gegen Hetze, gegen Antisemitismus, gegen Rassismus.
Kein Vergeben, kein Vergessen!