Am 19.8. fand Am Landtag in Düsseldorf eine Kundgebung mit anschließender Demonstration zum NSU-Untersuchungsauschuss statt. Wir dokumentieren hier unsere Rede:
Heute beginnt im Landtag von Nordrhein Westfalen der Parlamentarische Untersuchungsausschuss zum „Nationalsozialistischen Untergrund“ mit der Vernehmung von Zeuginnen und Zeugen. Begonnen wird mit Fragen zum Anschlag in der Kölner Probsteigasse. Dort explodierte im Januar 2001 eine in einer Christstollen-Dose verborgene Bombe. Vor Weihnachten hatte ein Mann diese Dose in einem kleinen Laden in der Probsteigasse deponiert. Bei seinem vorgeblichen Einkauf hatte er angegeben, kein Geld dabei zu haben. Den Korb, in dem die Christstollen-Dose lag, ließ er im Geschäft zurück. Schließlich wollte er nur rasch Geld holen. Der Attentäter kam nicht wieder. Wochen später ging die Bombe hoch. Eine junge Frau, die Tochter des Geschäftsinhabers, wurde schwer verletzt. Dass die Bombe sie nicht tötete, ist einem sehr, sehr glücklichen Zufall zu verdanken.
Und heute?
Erst vor wenigen Wochen ist öffentlich bekannt geworden, dass der Kölner Neonazi Johann H. seit 1989 „geheimer Mitarbeiter“ des „Landesamtes für Verfassungsschutz“ war.
Das ist für sich genommen – so zynisch das ist – nichts Besonderes. Die Liste der Neonazis, die als V-Personen für das „Bundesamt“ oder die „Landesämter für Verfassungsschutz“ geschnüffelt haben, ist lang. Und alle haben für ihre „Dienste“ jeweils stattliche Summen bekommen. Nicht selten wurde mit genau diesem Geld die
Nazi-Szene überhaupt erst ausgestattet, über die die Geheimdienste sich durch den Einsatz von V-Leuten „Aufklärung“ besorgen wollten. Dank dieser staatlichen Finanzspritze konnten die Neonazi-Strukturen vielerorts erst wachsen und gedeihen. Damit knüpft der „Verfassungsschutz“ seinem Wesen nach auch an die eigenen Traditionen an. Schließlich sollten wir nicht vergessen, dass der heutige VS ein Kind jener Leute ist, die ihre geheim- und nachrichtendienstlichen „Karrieren“ noch unter und im Geiste des historischen Faschismus in Deutschland begonnen haben.Das zusammen genommen ist bereits ein absurdes Szenario und ein politischer Skandal!
Hier in Nordrhein-Westfalen kommt es aber noch dicker. Denn es ist ausgerechnet jener Neonazi Johann H. – der „geheime Mitarbeiter“ des NRW-„Verfassungsschutzes“ – dessen Gesicht erstaunlich große Ähnlichkeit mit dem Phantombild von dem Mann hat, der im Dezember 2000 die Bombe in dem Geschäft in der Probsteigasse deponierte. Jahrzehntelang stand dieser Johann H. in Diensten des Geheimdienstes. Zur gleichen Zeit war er Funktionär der Neonazi-Szene. Er war stellvertretender Kameradschaftsführer der „Kameradschaft Köln“, vorbestraft wegen Sprengstoffdelikten und aktives Mitglied einer rechten Wehrsportgruppe. Trotz der erkannten Ähnlichkeit mit dem Phantombild des Attentäters wurde der Verfassungsschutzmitarbeiter und Neonazi, Johann H., nie zu dem Anschlag in der Probsteigasse befragt.
Wenn der Parlamentarische Untersuchungsausschuss hier im Landtag seine Aufgabe ernst nimmt – und das Wort „Aufklärung“ nicht nur als moralisches Feigenblatt vor sich herträgt – muss er den „Verfassungsschutz“ von NRW hierzu befragen. Und der „Verfassungsschutz“ muss Rede und Antwort stehen!
Und es ist sonnenklar, dass es nicht nur der Zusammenhang mit dem Anschlag in der Probsteigasse ist, bei dem die Rolle des „Verfassungsschutzes“ in Land und Bund mehr als problematisch ist.
Denn: Ganz unabhängig davon, ob wir Vertrauen in die Arbeit des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses haben, oder nicht: Der „Verfassungsschutz“ ist Teil des Problems! Nicht nur, was die Aufklärung der Morde und Anschläge des sogenannten Nationalsozialistischen Untergrundes und seiner UnterstützerInnen-Netzwerke angeht. Die Weste des „Verfassungsschutzes“ ist alles andere als weiß, seine Aufgaben und Methoden sind mehr als fragwürdig. Bis heute. Und genau darum muss sich der Untersuchungsausschuss kümmern!
Aber nochmal zurück. Zurück zu ein paar Beispielen aus der Geschichte der „Verfassungsschutz“-Beteiligung im gesamten Themenkomplex „NSU“.
Am vergangenen Samstag haben Antifaschistinnen und Antifaschisten mit einem Redebeitrag bei einer Demo unter dem Motto „Freiheit statt Angst“ in Münster die Zusammenhänge der sogenannten „Sicherheitsarchitektur“ von Geheimdiensten und „Verfassungsschutz“ und den Strukturen und der jüngeren Geschichte des sogenannten NSU und der extremen Rechten zusammengefasst. Dem möchten wir uns heute gerne anschließen:So hätte nach der Selbstenttarnung des NSU wohl niemand gedacht, dass es dem „Verfassungsschutz“ gelingt, so schnell seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen und trotz aller Kritik an seinen Praktiken seine Existenz nicht nur weiter zu behaupten, sondern die eigenen Möglichkeiten auch noch auszubauen.
In den Jahren nach dem November 2011 gelangten scheibchenweise neue Informationen an die Öffentlichkeit, welche die zwielichtige Rolle der Inlandsgeheimdienste belegen: Bekannt wurde, dass im „Bundesamt für Verfassungsschutz“ schon kurz nach der Selbstenttarnung des NSU zahlreiche Akten zum Einsatz von V-Leuten geschreddert wurden. Sie konnten nicht komplett rekonstruiert werden. Um so länger die Aufklärungsversuche von Untersuchungsausschüssen, JournalistInnen und Antifa-Projekten dauerten, desto mehr V-Leute wurden im direkten Umfeld des NSU-Kerntrios und des Unterstützungsnetzwerks bekannt.Heute wissen wir: Der NSU war regelrecht umstellt von staatlichen Spitzeln, die vielfach in der Neonazi-Szene Führungspositionen einnahmen. Sie alle sollen aber laut Behörden nie über das untergetauchte Trio und die Terrortaten berichtet haben.
Das soll angeblich auch bei Johann H. so sein, dessen Gesicht dem Phantombild zum Probsteigassen-Anschlag so ähnlich sieht. Der Landes-Verfassungsschutz, für den er arbeitete, will aber über all die Jahre, in denen der in Nazi-Kreisen best-informierte Johann H. für sie tätig war, von rechtem Terror oder vom NSU ebenso wenig gehört haben, wie seine Bundesbehörde. Und dieses vorgebliche Unwissen wiederholt sich andernorts. So ist z.B. immer noch ungeklärt, welche Rolle der hessische „Verfassungsschützer“ Andreas Temme für den NSU spielte. Er war zur Tatzeit am Tatort des neunten Mordes durch den NSU, einem Internet-Café in Kassel. Temme war dort, in genau jener Minute, als Halit Yozgat am 6. April 2006 ermordet wurde. Doch der „Verfassungsschutz“-Mann will von den Schüssen, dem Mord, von dem er wenige Meter entfernt war, nichts gehört und nichts gesehen, vor allem aber: nichts gewusst haben.
In diesem wie auch in allen anderen Fällen haben die „Verfassungsschutz“-Behörden rein gar nichts dazu beigetragen, die Hintergründe aufzuklären. Stattdessen wird gemauert, vertuscht, abgestritten und verharmlost!
Mit der Reform des Verfassungsschutz-Gesetzes, wie sie im Juli 2015 im Bundestag verabschiedet wurde, hat sich an den Voraussetzungen, auch weiterhin nach dieser Manier zu arbeiten, nichts, aber auch gar nichts geändert. Alles bleibt beim Alten. Nur, dass die Praxis des „Verfassungsschutzes“ jetzt nicht mehr nur einfach so ist, wie sie ist, sondern nun auch noch den Anstrich des Legalen hat.
Und so ist und bleibt der „Verfassungsschutz“ eine Geheimbehörde, dessen oberster Grundsatz der Geheimhaltung jedwede Kontrolle effektiv aushebelt. Er wird stets den Schutz seiner „Quellen“ höher als die Strafverfolgung werten. Der „Verfassungsschutz“ ist eine Blackbox – was in den Ämtern geschieht, dringt nicht nach außen.
Neu ist aber die unverfrorene Dreistigkeit, mit der die Geheimbehörden mittlerweile wieder auftreten. So erklärte der Chef des Bundesamtes Hans-Georg Maaßen in einem Interview die NSU-Affäre für beendet: Die „schweren Fehler“, die es in der Ermittlungsarbeit zum NSU gegeben habe, hätten mit seiner Behörde nichts zu tun.
Wer, wie „Verfassungsschutz“-Leiter Maaßen, im Brustton der Überzeugung von sich behauptet, keine Fehler zu machen und ‚sauber‘ zu sein, wird jetzt, nach vier Jahren des Vertuschens, Schredderns, Lügens und Mauerns, mit einem neuen Gesetzt belohnt. Und ein Blick in das neue Bundesverfassungsschutz-Gesetz zeigt, dass Maaßen und Co ihre zentralen Forderungen durchsetzen konnten. Nach dem NSU wurden die Möglichkeiten des „Verfassungsschutzes“ nicht beschränkt, sondern ausgebaut. Obwohl er tief in die Neonazi-Szene verstrickt war, obwohl er nichts dazu beigetragen hat, die NSU-Morde zu verhindern oder aufzuklären!
Der „Verfassungsschutz“ dient als Geheimdienst den jeweiligen Regierungen. Sie definieren, was das „Staatswohl“ ausmacht, das zu schützen sei. Und dabei kann es sich dann – ginge es nach denen, die die Lobby-Arbeit für den „Verfassungsschutz“ machen – auch schon mal ereignen, dass das rechte Auge schielt, eine Akte verschwindet oder eine V-Person nichts gesehen oder gehört hat oder sich an nichts mehr erinnert.
All das macht es mehr als deutlich – und da schließen wir uns dem Redebeitrag aus Münster vom vergangenen Wochenende an:
Im Kampf gegen Rechts brauchen wir den „Verfassungsschutz“ nicht! Er kann hierbei niemals „Partner“ sein! Alleine durch sein V-Leute-System richtet er ungeheuren Schaden an, wenn er führende Neonazis mit staatlichen Geldern alimentiert und vor Strafverfolgung schützt. Seine Ausstiegsprogramme, Comichefte und Vorträge sind nur Augenwischerei. Sein Beitrag zu Strukturen der extremen Rechten, zum Netzwerk des sogenannten Nationalsozialistischen Untergrundes, zu den Morden, für denen der NSU und seine UnterstützerInnen verantwortlich zu machen sind, ist bis heute unklar. Eine Verantwortung in weiterem Sinne – so viel wissen wir aber – hat der „Verfassungsschutz“ bei allem Vertuschen, Schreddern, Verheimlichen und Lügen aber allemal. Darüber kann er uns nicht mehr täuschen. Und das gilt auch für die ParlamentarierInnen, die heute im Landtag mit der Befragung von Zeuginnen und Zeugen beginnen, um das Versagen und das Kalkül der Behörden – auch das des Verfassungsschutzes – einordnen und benennen zu können.An sie geht unsere Forderung – ganz alternativlos: Verfassungsschutz und alle anderen Geheimdienste auflösen!